Die Arbeiten von Frank Kunert sind doppelbödig wie das Leben selbst. Wer das erste Mal eines seiner Fotos betrachtet, wird möglicherweise entzückt, dann zunehmend irritiert und am Ende mit sattem Erkenntnisgewinn ausgestattet sein. Frank Kunerts Welt ist klein, vor allem ist sie aber oho: Die Hinterfragung der Conditio humana dient dem Künstler als ständige Antriebsfeder, um seine ganz eigenen Interpretationen der Welt in Modelle zu überführen und diese fotografisch zu erfassen. Ein Gespräch zwischen Weltenerschaffer Frank Kunert und Weltendeuter Peter Lindhorst über Baustellen, Höhenangst, Widersprüche des Lebens, Scheitern als Chance und darüber, warum man sich selbst ab und zu Gutes tun sollte.
Peter Lindhorst: Es gibt diese symbolische Szene, die Deinem neuen Buch den Titel gibt. Eine steile Treppe führt zu einer Tür, über der die berühmte Sentenz von Horaz steht: CARPE DIEM. Das ist die Tür, die wir jeden einzelnen Tag öffnen. Hinter der Tür aber – es kommt auf die Verfasstheit des Betrachtenden an – erwartet diesen ein schöner Ausblick oder ein drohender Abgrund. Bauen wir mal Frank Kunert in die Szene ein: Auf was würde der die Treppe hocheilende und durch die Tür tretende Künstler mehr anschlagen – auf den überraschenden Genuss der Kulisse oder den Abgrund, der sich so unvermittelt auftut?
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