Jacopo Benassi – The Eyes Can See What The Mouth Can Not Say

Schreibe einen Kommentar
Besprechen

Bücher sind Weggefährten, die nicht ungefragt mit uns quatschen. Ihre Stimme erheben sie erst im Akt des Lesens. Wer liest, zieht sich aus dem kakophonischen Echo des Alltags heraus und folgt dem Monolog des Buches. Ein Buch redet, wenn wir es wollen und verstummt, wenn wir nicht bereit sind. Dann legen wir es einfach beiseite.

1952 tritt der Pianist David Tudor auf die Konzertbühne und erzeugt mit der Uraufführung von 4’33 einen Skandal. Es ist ein Stück des Avantgarde-Komponisten John Cage. Der Pianist öffnet den Klavierdeckel. Dann aber ertönt kein einziger Ton während des gesamten Stücks. Der Zuhörer ist dem Ereignis der Stille ausgesetzt, nur unterbrochen von zufälligen Nebengeräuschen. Damals ruft die Performance riesigen Ärger hervor. Das Stück spielt mit der Erwartungshaltung des Hörers und regt dazu an, die Leerstelle mit der eigenen imaginierten Musik zu füllen.

Was hat das jetzt mit diesem Buch zu tun? Auch dieses Buch ist stumm. Denkt man. Dann lassen wir uns die einzelnen Szenen vorführen und ehe wir uns versehen, füllen sich diese mit einer Musik auf, die immer lauter tönt. Während wir uns gerade noch fragen, woher die eigentlich kommt, wird klar: Allein aus unserem Kopf. Ein echter Cage-Moment.

Das Buch liest sich also in etwa so: Man geht die Stufen eines Clubs hinunter, durch dessen Wände ein Bass nach außen wummert. Dann öffnet man das Buch und öffnet damit die Tür zum Club und sofort empfängt den Ankömmling ein ihn verschlingender Krach. Die, die schon da sind, scheinen bereits tief in der Darbietung des Künstlers verfangen. Während wir sie betrachten, merken wir, dass sich aus dem Krach von der Bühne eine Melodie herausschält, ein Rhythmus, den wir erst mit Fußwippen begleiten, dann aber gerät unser Körper immer mehr in Bewegung. Bevor wir uns versehen, trägt uns die Musik hinfort an einen Ort des Rauschs. Willkommen im Btomic!

Jacopo Benassi ist ein italienischer Fotograf. Er fotografiert für Magazine wie Rolling Stone, Wired oder GQ, seine Bilder sind in zahlreichen Ausstellungen zu sehen, er bringt Bücher raus und betreibt TALKINASS, ein Blog, in dem er seine einfallsreiche (Selbst-)Inszenierungslust präsentiert. All das reicht ihm nicht. So betreibt er von 2011 bis 2015 mit Freunden einen Musikclub im norditalienischen La Spezia. Wenn dort 50 Leute sind, ist der Club voll. Das erzählen zumindest die Fotos in dem schön gemachten Büchlein. Einen richtigen Text findet man nicht, aber den hat es auch gar nicht nötig. Am Ende sind lediglich Musiker aufgelistet, die dort aufgetreten sind. Und man weiß: es ist einer dieser Clubs, in die man einfach so geht. Wird schon gut werden! Teho Teardo, Chris Imler, Tav Falco und Lydia Lunch, sind dabei und viele Namen, die ich noch nie gehört habe.

„The Eyes Can See What The Mouth Can Not Say“ ist der Titel des Buches und hinter diese Aussage sollte ich ein Ausrufezeichen setzen und dem Leser dieser Rezension zurufen: Schaut es euch an und merkt, was passiert. Hört ihr die Musik?

Man sieht die Besucher – ungeduldig vor dem Konzert, andächtig während des Vortrags, ausgelassen nach der Performance. Eine abgelegte Gitarre, ein Schlagzeug in einer Ecke, Mikros, die in den Raum reinreichen. Eine Tischtennisplatte. Aufgestapelte Stühle. An einer Stelle sind zahlreiche Fotos von Jacopo Benassi an der kahlen Wand präsentiert. Da gibt es auch einen Cameo-Auftritt. Neben der Bühne hängt ein Selbstporträt des Fotografen, das diesen nackt zeigt, in der Hand hält er ein Paar Pantoffeln. In einem Ständer werden Magazine feilgeboten und es wird klar: „The Eyes Can See What The Mouth Can Not Say“ ist ursprünglich ein von Benassi produziertes Fanzine, in dem Porträts der Musiker oder Szenen ihres Auftritts präsentiert werden. Dies wird während der Konzerte verkauft, bis das Btomic 2015 wegen fehlender Geldmittel schließen muss.

Das vorliegende Buch, das diesen Titel aufnimmt, erzählt von der Begegnung des Publikums mit der Magie der Musik. Es zeigt nie einen einzigen Interpreten. Gerade deswegen hat man das Gefühl, der Musik sehr nahe zu kommen, selbst Teil der Reihen vor der Bühne zu werden. Während ich diesen Text schreibe, hab ich eine Playlist erstellt, in der Stücke der Musiker zu hören sind. Schnell mache ich die wieder aus. Die Imagination reicht mir völlig. Die Augen können sehen, was die Ohren nicht hören.

Das Buch ist irgendwann weggestellt, will aber nicht richtig verstummen. Es ist, als habe ich noch ein Fiepen in den Ohren von der übersteuerten Anlage, das T-Shirt ist verschwitzt, und mir ist ein wenig schlecht vom Bier, aber ich bin glücklich ob der kathartischen Wirkung des Abends. Von solchen Momenten erzählt das Buch. (Der Text ist erschienen in Photonews 7-8/17)

Jacopo Benassi. The Eyes Can See What The Mouth Can Not Say. Peperoni Books. Berlin, 2017. ISBN 978-3-941249-13-4. 115 S. mit 56 Fotos. Hc. 29 Euro.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.