Martin Bogren – Italia

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Italia ist das wunderbare neue Buch des schwedischen Fotografen Martin Bogren. Meine „Hymne“ dazu erschien in Photonews 2/17:

In der Mitte des neuen Buches von Martin Bogren gibt es ein Foto auf einer Doppelseite, aus dem grauschwarze Bildschatten quellen. Vermutlich ist ein Straßenzug abgebildet. Details sind fortgewischt, hier und da sind ein paar Flecken und Silhouetten zu sehen. Diese Szene lässt sich achtlos überblättern. An genau dieser Stelle lasse ich das Buch mehrere Tage aufgeschlagen und folgendes passiert: Während sich die Bedeutung immer weiter entzieht, tritt an ihre Stelle eine Aura des Bedeutungsvollen. Martin Bogrens düster-poetischen Fotos seiner Serie „Italia“ leben von ihrer geheimnisvollen Ausstrahlung, von ihrer Vagheit, von der Unklarheit dargestellter Situationen, von der Vermittlung eines nicht näher beschreibbaren Gefühls, aber auch von der Aufforderung zu Bedeutungsfindung, vom Anfächern einer Sehnsucht, dem Vorgefundenen Sinn einzuhauchen. Seine Fotos fordern das Verweilen, und wer es zu lange tut, läuft Gefahr, sich zu verlieren.

Gerade das aber ist ein gutes Gefühl, und ich gestehe, dieses Buch überhaupt nicht beiseite legen zu können. Also blättere ich darin vor und zurück. Und wieder einmal wird mir klar, wie schwer es ist, den Zauber einer fotografischen Arbeit textlich zu vermitteln. Kann das über die Beschreibung einzelner Szenen erfolgen? Ein Junge reißt  übermütig die Arme in die Luft – eine alte Frau trägt ihre Einkäufe – ein Mann liegt schlafend auf einer Bank – ein intimer Blick auf den entblößten Körper einer Frau –  auf einem Friedhof schlingt ein junger Mann seine Arme um die Hüften der Angebeteten –  das blasse Gesicht einer Frau schält sich aus der Dunkelheit – eine Hose hängt über eine Mauer – ein Mann hat sich einen Pappkarton über den Kopf gestülpt.

Fotografische Fundstücke, die nur auf den ersten Blick – und  vor allem in dieser Aufreihung- beliebig wirken, sich aber tatsächlich immer mehr zu einer Erzählung ordnen. Vielleicht handelt diese Erzählung also von einem schwedischen Fotografen, der in Neapel, Palermo, in Bologna und Turin auf den Straßen unterwegs ist. Weniger als Flaneur denn als Getriebener. Vielleicht  erzählt sie von der Einsamkeit desjenigen, der ohne Plan und voller Selbstzweifel in der Fremde umherstreift, der schüchtern ist und kaum weiß, wie er Menschen begegnen soll und für einen Augenblick sogar seine Rolle als Fotograf in Frage stellt.

Das in die Bilder zu interpretieren, wäre anmaßend, aber dem Buch ist ein schlichtes Heft beigefügt, in dem der Fotograf diese Gedanken mit einer so entwaffnenden Ehrlichkeit ausbreitet, dass man als Leser erst Verlegenheit spürt, dann aber umso mehr für ihn eingenommen ist. Am Ende befreit er sich aus der Krise und findet zurück in die Spur. Und die Erleichterung ist groß, obwohl man das „Happy End“ schon vorher in den Händen gehalten hat.

Einst waren die Einflüsse seine Lehrmeisters Anders Petersen zu spüren, doch von diesen hat sich Martin Bogren endgültig gelöst. Das Dokumentarische wird von der Empfindung, das Faktische vom Fiktiven überlagert. Am Ende gelingt dem schwedischen Fotografen, der auch schon die fabelhaften Bücher „Lowlands“ und „Tractor Boys“ verantwortet, eine Arbeit, die seinen Zugriff auf bestimmte Ausschnitte der Welt als sehr eigensinnig ausweist. Das Erkunden des Ortes ist immer auch ein Erkunden seiner eigenen Person, wie er an einer Stelle dazu anmerkt. Jene Osmose zwischen Gedanken- und Außenwelt gibt der Arbeit ihre Dringlichkeit.

Grobkörnigkeit, Unterbelichtungen und Unschärfen bilden Schleier, hinter die wir schauen, um dort oft mehr zu erahnen als zu wissen. Was dahinter steckt (einmal sehen wir tatsächlich einen Schleier, vielleicht ist es auch ein Kleid, das von einem Balkon herabhängt), weist auf die uns verbindenden großen Themen: das Begehren, die Einsamkeit,  das Getriebensein, den Verlust, die Erinnerung, den Tod.

Greger Ulf Nilson hat die Arbeit in eine kongeniale Form gebracht. Es gibt bedacht eingesetzte Details des Gestalters, die den Inhalt entscheidend befeuern: eine Typographie, die eine antike römische Monumentalschrift imitiert und auf die Rückseite des Einbandes geprägt ist. Über dem Leinen ein Plastikumschlag, der das Porträt einer jungen Frau, die im Buch wiederkehrt, präsentiert. Im Inneren begrüßt uns ein Vorsatzpapier, das wie der Farbunfall eines etwas zu euphorischen Malers aussieht. Eine geräuschvolle Einleitung zu den ruhigen Fotos, die in ein wunderbar behutsames Layout eingebettet sind.

Bogrens Arbeit ist geheimnisvoll, voller ungeahnter Möglichkeiten und stets unberechenbar. Und so hört man nicht auf, ihr immer Neues abzutrotzen. Mir geht das eine Bild nicht mehr aus dem Kopf, das inmitten der Serie auftaucht: eine Gestalt steht auf dem Dach eines Gebäudes. Eine einsame Seele, die von Verdruss gepeinigt ist? Nein, in Wahrheit ist es ein Engel, der sich im nächsten Moment aufschwingen wird.

Martin Bogren. Italia.  Bökforlaget Max Ström. Stockholm, 2016. ISBN 978-91-7126-386-5. 80 S. mit 41, teils doppels. Fototaf., 23,7 x 30,7 cm, Hc., ca. 45,- €

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