Andreas Herzau – DIE SCHWEIZER

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„Seine Aufnahmen gehen nicht in einem suppigen Genuss auf. Das macht ihre Qualität aus. Sie suchen die Widersprüchlichkeit der Erscheinungen, nicht die Stimmung, sondern das Unstimmige, nicht das Allgemeine, sondern den Unterschied. Deshalb fordern seine Arbeiten eine Lektüre, die sich auf das Detail einlässt. Die Photographien wollen gelesen, sie wollen entziffert sein. Sie sind nicht auf Anhieb entstanden und sie geben ihre Bedeutung nicht auf Anhieb preis.“

Andreas Herzaus neue Fotoserie ist in der Tat alles andere als ein suppiges Vergnügen. Ein vielgestaltiger, wuchtiger Bilderbogen ist entstanden, der den Betrachter unmittelbar für sich einnimmt. Genussreich lassen sich vorgefundene Situationen betrachten und Inhalte benennen, aber dahinter verbirgt sich ein weiteres Netz von Annahmen. Herzaus Fotos rufen eine sogartige Wirkung mit ihren waghalsigen Kompositionen und ihrer euphorischen Farbigkeit hervor, wobei letztere sich einen rasanten Schlagabtausch mit einzelnen Schwarzweißszenen liefert. Die Arbeiten decken Widersprüchlichkeiten am Vorgefundenen auf und machen die ambivalente Haltung ihres Autors spürbar, ohne besserwisserisch daher zu kommen. Herzaus Fotos wollen auf jeden Fall vom Betrachter gelesen werden.

Die so am Anfang zitierte Charakterisierung über den Fotografen trifft es. Sie hat nur einen Schönheitsfehler. Sie ist gar nicht auf Andreas Herzaus neue Arbeit bezogen, sondern entstammt einem Text von Hans Magnus Enzensberger über René Burri. Dieser wurde einer späteren Auflage des Buches „Die Deutschen“ beigefügt. Darin hatte der Schweizer Fotograf eine berührende Reportage über ein Land zwischen einsetzendem Wirtschaftswunder und Teilung publiziert. Ein überragendes Zeugnis deutscher Nachkriegsgeschichte. Andreas Herzau nennt seine neue Serie schlicht „Die Schweizer“. In den letzten fünf Jahren ist er immer wieder südlich gereist, um  -in ähnlicher Weise wie der Schweizer Fotograf- das Wesen des Nachbarn fotografisch zu durchdringen. „Die Idee zu dem Projekt kam mir bei den Vorbereitungen zu einem Vortrag über Fotobücher, wobei mir das Buch von René Burri in die Hand fiel, welches 1962 erschien – dem Jahr meiner Geburt. Ich dachte, jetzt wird’s Zeit für einen Gegenbesuch.“

Der ist abgeschlossen, die Arbeit so gut wie fertig und ein kleines Künstlerbuch geplant. Für seine Serie hat er die unterschiedlichsten Kantone aufgesucht und Bilder so versiert zusammengefügt, dass sich problemlos idyllisches Bergambiente zu rauschendem Gesellschaftsereignis gesellt. Die Schweiz sei eine absolute Klischeefalle, in die man als Fotograf nur zu rasch tappen könne, sagt der Hamburger. Also spielt er mit dem Klischee, bricht es immer wieder. Nicht von ungefähr gerät das dekorative Schweizerkreuz ab und zu ins Bild. Eine Alpenkulisse, eine Tracht, selbst Alpenhörner finden sich in seinen Fotos. Doch sein Ansatz ist viel subtiler als etwa Martin Parrs  Serie „Think of Switzerland“,  die sich über Schwachstellen einer Gesellschaft unbarmherzig lustig macht. Andreas Herzau versucht seine Empfindung so umzusetzen, dass diese nicht zum flachen Abziehbild verkommt. Seine Arbeit wahren ihre Geheimnisse, sie lässt uns im Ungefähren. Wer ist jene merkwürdig verschleierte Person, die durch den Schnee stapft?

Immer wieder umweht eine Aura rätselhafter Entrückung seine porträtierten Gegenüber. Das mag daran liegen, dass er den Leuten oft unbemerkt über die Schulter schaut. Manchmal bewegen sich diese als tiefdunkle Silhouetten durch den Bildraum. Der Fotograf kommt seinen Protagonisten nah, dennoch erhalten wir niemals einen erwidernden Blick von diesen. Die Schweiz schätzt der Fotograf wegen ihrer Errungenschaften. Gleichzeitig fremdelt er mit ihr, da sich diese aktuell mit ihren eigenen Ansprüchen schwer tut. Ein Land, in dem direkte Demokratie und außenpolitische Neutralität praktiziert wird, das von wirtschaftliche Modernität und Wohlstand geprägt ist und das mühelos unterschiedliche Sprachnationen zusammenhält. Aber der Deutsche erfährt die Schweiz auch als Ort, in dem sich nationalistische Abwehrreflexe herausbilden. Minarettverbot, Durchsetzungsinitiative, Reduktion der Einwanderung sind nur einige Themen, die die Politik in den letzten Jahren beherrscht haben.

„Ich war anfangs sehr neugierig und voller Bewunderung für dieses kleine Land, da ich das Gefühl hatte, die tun etwas für ihre Bewohner, es scheint sozial (…)Mit der Zeit realisiert man aber doch, dass die Schweiz ihr Land einfach mit einem perfekten Image ausstattet und vieles mehr Schein als Sein ist. Zumal man hier als Deutscher ab einem bestimmten Punkt immer wieder klar gezeigt bekommt, dass man Ausländer ist. Als die Abstimmung in der Schweiz war und sich eine Mehrheit gegen den Zuzug von Ausländern aussprach, hatte man durchaus ein mulmiges Gefühl und fühlte sich automatisch nicht mehr sehr willkommen. Die Schweiz ist ein klandestines Völkchen.“

Die Energiedichte seiner klug verknüpften Fotos ist hoch, lässt wenig Atempause, man spült im Strom der Betrachtungen fort. Was ist also Sein und was ist Schein? Seine Vorstellung, was die Schweiz sein könnte, füllt er mit Bildern auf, die vor allem Widersprüche und das eigene Fremdsein reflektieren. Auf einem Bild sieht man eine überdimensionale Schneekugel. Eine funkelnde Landschaft lässt den Vorübergehenden Halt machen. Ein bisschen lässt uns Herzau seine Schweiz wie durch diese Kugel betrachten. Staunend verharren wir dann vor seiner Vision der helvetischen Welt. Das Geschehen ist fesselnd. Wir können uns nicht lösen. Was wohl Burri zu der Arbeit gesagt hätte?

(erschienen in Photonews Dezember 16/Januar 17)

 

 

 

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