Paul Kranzler & Andrew Phelps – The Drake Equation

Besprechen

Ein riesiges Leuchtmonster erhebt sich aus dem Dunkel der Nacht. Das ist das Entree zu einem Ort, an dem–je tiefer wir ins Buch „The Drake Equation“ rutschen- komische Dinge passieren. Für einen Moment wähnt man sich im Setting einer Mystery-Serie à la „Stranger Things“. Merkwürdige Personen begegnen uns, die mit ebenso merkwürdigen technischen Apparaturen hantieren. Andere, die als einsame Jäger durch den Busch streifen. Kleine Häuser liegen abgelegen im Wald. Fenster sind mit Plastik abgeklebt. Was bedeutet jener Eingang, der zu einem Faradayschen Käfig umgestaltet ist? Welche Katastrophe wird hier erwartet? Einmal hält jemand eine weiße Tüte in der Hand. Darin sind die Umrisse eines Kopfes mit Geweih zu erkennen. Die, denen wir begegnen, blicken starr und weichen unserem Blick aus. Sie wirken entrückt, als seien sie mit anderen Dingen beschäftigt, oder es ist nur das Misstrauen gegenüber einem Fremden. Eine seltsame Stille entströmt den einzelnen Szenen. Nebel liegt über der Wiese. Immer verwirrter blättert man durchs Buch. Um den Nebel der Unwissenheit aufzulösen, hilft nur das Lesen des beigefügten Textes.

Tatsächlich handelt es sich hier um einen der stillsten Flecke Amerikas. Green Bank ist ein 200-Seelen-Ort in den Bergen von West Virginia. Dort ist das Zentrum der in den fünfziger Jahren eingerichteten National Radio Quiet Zone. Es gibt, kein Radio, kein Bluetooth, keine WLAN-Signale, keinen Handyempfang. Wie bitte – kein Handyempfang? Das ist allerdings eine kaum vorstellbare Katastrophe.

Die elektromagnetische Ruhe ist per Gesetz geregelt und wird streng eingehalten. Das hat einen Grund. In Green Bank befindet sich das National Radio Astronomy Observatory mit hochempfindlichen Teleskopen, die tief in die Galaxien am anderen Ende des Weltalls hineinhören. Sind wir alleine oder gibt es da draußen intelligente Zivilisationen? Eine Frage, die sich jeder schon mal gestellt hat. So auch der Astrophysiker Frank Donald Drake, der 1961 als Antwort eine mathematische Gleichung entwickelte. Mit dieser wollte er die Häufigkeit von extraterrestrischem Leben beschreiben. Teleskope, die hier aufgebaut sind, durchsuchen den Rand des Universums nach entsprechenden Signalen. Wer jemals nach Green Bank kommt, wird es nicht übersehen können: Das Robert C. Byrd Green-Bank-Teleskop mit einem Durchmesser von 100 x 110 m ist das größte bewegliche Teleskop der Welt. Da wird einem klar, dass es kein Monster war, das uns am Anfang einschüchterte.

Als die Fotografen Paul Kranzler und Andrew Phelps erstmals von diesem wunderlichen Ort hören, entflammt ihr Interesse. Kein Wunder – ein Fleck wie dieser ist ein fotografisches Goldstaubthema. Tatsächlich haben die Freunde schon länger über eine Kooperation nachgedacht. 2015 reist das Duo schließlich an den Ort der Stille. Green Banks Observatorium ist ein Mekka für Astrophysiker und Astronomen, die sich von überall her bewerben, um dort forschen zu können. Gleichzeitig bietet Green Bank denjenigen einen Rückzugsort, die unter elektromagnetischer Hypersensibilität leiden, also krank werden von allem, was elektromagnetische Felder produziert: Hochspannungsleitungen, Mikrowellen, Handys.

Schließlich gibt es die Gruppe derjenigen, die hier schon immer leben, die Jobs beim Observatorium gefunden haben, andere, die sich über Wasser halten, mit traditioneller Viehzucht, Jagd und Ahornsirupernte. Es sind diejenigen, die sich für eine lange Fahrt ins Auto setzen müssen, bis sie endlich ein Handysignal empfangen. Diejenigen, die die Liste der hier verbotenen Haushaltsgeräte genau kennen und deren Internet ausschließlich übers Kabel funktioniert. Und die sich auch schon mal ärgern, wenn in ihrer Bar das Neonlicht gegen LED-Streifen ausgetauscht ist, weil sich ein Elektrosmog-Spinner beschwert hat.

Es ist die Konstellation aus verschiedenen Gruppen und der Überschaubarkeit des Ortes, die den Reiz ausmacht. Zusammenarbeit verstehen die beiden Fotografen übrigens im ganz engen Sinn. Der eine drückt den Auslöser, während der andere das Licht hält und das fotografische Gegenüber interviewt oder umgekehrt. Die locker-freundliche Arbeitsatmosphäre des Duos überträgt sich auch auf die oft scheuen Porträtierten, die sich schließlich ganz öffnen. Da ist z.B. Diane Schou, die in der elektromagnetischen Ruhezone beschwerdefrei lebt und jene berät, die hierher flüchten. Oder der Astrophysiker Frank, der konzentriert auf seinen Monitor schaut. An anderer Stelle wird uns der erschöpfte Chief Warner vorgestellt, der sich auf der Bärenjagd ausruht. Und immer werden diese Porträts mit Ansichten der Landschaft und der Kleinstadt abgewechselt. Ein Kosmos eröffnet sich, in dem die klug gesetzten Bilder die Faszination des Betrachters aufs immer Neue befeuern. Klug ist auch die Gestaltung des Buches. Kupferfarben ist der Schnitt, ebenso die eingeprägte Schrift im Leinen des Einbandes. Kupfer soll übrigens ein probates Mittel zur Abschirmung vor Elektrosmog sein. Das Buch hat mich extrem lange bei der Stange gehalten. Das Allerbeste: Nicht einmal hab ich auf mein Handy geschaut.

Paul Kranzler und Andrew Phelps. The Drake Equation. Fountain Books. Text v. Alard von Kittlitz. 120 S. mit zahlr. Farbfotos. 23,8 x 28,5 cm.  ISBN 978-3-00-058059-8. Euro 45,00