Das Buch war in Planung, ich wie auf glühenden Kohlen. Warum ich ihm so entgegenfieberte? Ganz einfach: 1) Ich bekenne, ein Nikita-Teryoshin-Fanboy zu sein. 2) Als Fanboy hatte ich mit Nikita ausgemacht, zum Erscheinen des Buches eine Ausstellung in der FREELENS Galerie zu organisieren. Herzensangelegenheit! Die Arbeit „Nothing Personal“ über Waffenmessen kannte ich schon sehr lange und hatte sie sofort verstanden. Öfters stolperte ich über sie, sah, wie sie anwuchs. Ausschnitte wurden in den cooleren unter den Magazinen oder auf angesagten Blogs präsentiert, mal war die Serie nominiert für den Leica Oskar Barnack Award, dann wurde sie bei World Press Photo ausgezeichnet. Es gab auch erste Ausstellungen dazu. Ich blieb ein aufmerksamer Beobachter.
Jetzt halte ich das schwere, umfangreiche Buch in der Hand, selfpublished, finanziert per Crowdfunding, das in Rekordzeit die benötigte Summe einspielte (es muss andere Fangirls und -boys geben). Edler Look – blaugrauer Leineneinband, aufmontiertes Coverfoto. Schlägt man es auf, gehts unvermittelt los, Szene an Szene, ohne Text zunächst, ohne Bildunterschrift und Erklärung, und auch wenn man die Arbeit wie ich gut zu kennen glaubt, trifft sie einen wie eine Rakete ins Herz. Unangebrachtes Sprachbild, nehme ich zurück, aber der Effekt stimmt. Die Fotos ringen eine starke Reaktion ab. Abwechselnd Staunen, Kopfschütteln, Stöhnen, ein Lachen, das garantiert im Halse steckenbleibt.
Nikita besucht seit 2015 sogenannte Verteidigungsmessen weltweit. In 15 Ländern ist er unterwegs, auf Handelsmessen, organisiert von Rüstungskonzernen und den einladenden Ländern. Es sind Veranstaltungen, auf denen sich das Fachpublikum trifft: Hersteller und Verkäufer, Politiker, Militärs, irgendwelche hochrangige Fatzken. Die Messen sind äußerst exklusiv, nichts dringt nach außen, nur ausgesuchte Medienvertreter berichten für die Fachpresse. Aber Nikita gelangt einfacher, als er selbst vermutet, an eine Akkreditierung.
Er bietet uns einen Blick hinter die Kulissen des globalen Waffengeschäfts, oder wie er es selbst nennt, in das Hinterzimmer des Krieges. Derzeit werden wir mit Bildern von Krieg und Zerstörung geflutet. Uns bleibt nichts, als diese stoisch oder verzweifelt zur Kenntnis zu nehmen genauso wie die immer schwindelerregender Rüstungsetats. Die Messen sind als Vorstufe zur Hölle des Krieges zu betrachten, doch ihr Erscheinungsbild gibt sich als Banalität ohne das Böse. Wie auf anderen Messen, auf denen Haushaltgeräte, Bücher oder Tiere verkauft werden, findet geschäftiges Treiben statt. Deals werden beschlossen, Unterschriften unter Verträge gesetzt, Hände geschüttelt, am Ende des Tages bleiben nur die angetrockneten Kaffeetassen der Handelspartner übrig. Das Geschehen umweht ein gepflegter Ennui, typisch für Messen, und doch gibt es die andere Seite.
Unterhaltungsprogramm, Give-aways, Hostessen – alles Einsatzmittel, um die Ödnis der Marktplätze zu übertünchen. Ein gefundenes Fressen für Nikita. Völlig absurd sind die Rahmenprogramme und Settings, die er uns vorführt. Für das leibliche Wohl der Gäste ist gesorgt. Niemand muss hungrig auf einen Panzer steigen und Simulatoren bedienen oder Drohnen, Raketen und Maschinengewehre begutachten, alles kann unbedingt ausprobiert werden. Ein einziger Spielplatz. Alkoholische Getränke und Selfie inklusive.
Nikita hilft sein schnelles Auffassungs- und Durchhaltevermögen. Jedes Bild sitzt. Warum die Szenen so gut funktionieren, liegt zusätzlich an einem speziellen Kniff. Nie sind Gesichter zu sehen, so wird nicht der einzelne Waffenhändler zum Adressaten einer Anklage, sondern die Branche in ihrer Gänze.
Das Buch ist ein Füllhorn surrealer Momente, ergänzt von eingestreuten Konzern-Marketing-Slogans: WE ARE ENGINEERING A BETTER TOMORROW (Lockheed Martin, Umsatz 65,9 Billionen Dollar in 2022). Am Ende gibt es den Text einer Abrüstungsexpertin, die dem Thema eine fundierte Einordnung zufügt.
So viel hätte ich zu sagen, aber es muss reichen. Nikitas Buch trifft mitten hinein. Auf der Ausstellungseröffnung ging es denn auch so rasch weg wie etwa die dargereichten Kanapees in einer seiner Szenen. Wie könnten Bilder subversiver erzählen über Leid und Sterben, das von einer wohlhabenden Industrie so geschickt wie pervers kaschiert wird? Mir wird schlecht. Der totale Irrsinn.So können nur Fanboys übertreiben, denken Sie. Eye Leute, wer‘s nicht glauben will, schaut rasch ins Buch. Demnächst dann vergriffen!
Nothing Personal. The Back Office of War. Mit einem Text von Linda Åkerström. 182 S. mit 100 Fotos. ISBN 978-3-00-077096-8. Hc.
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