Rausch 1: Die Euphorisierung kommt unmittelbar, ich bin voll drauf. Würde jemand von außen ins Zimmer schauen, böte sich ihm ein skurriles Bild. Ein junger Mann, der auf seinem Bett, das ihm als Bühne dient, auf- und abspringt und Gitarrenspiel imitiert. Ein Freund war von einem England-Schulaustausch zurückgekehrt und hatte mir eine Platte mit „angesagter Musik“ mitgebracht. Das Cover zeigt in billig wirkender Collagen-Ästhetik eine Szene, bei der sich Geier auf einen erschossenen Mann stürzen. Ich setze die Nadel auf die Platte auf und im selben Moment stürzen sich die Geier auf mich. Welch wütender Sound – ich fasse es nicht. Mein Vater klopft an die Tür und befiehlt, die Musik leiser zu machen. Was weiß der schon? Das hier ist gerade der Erweckungsprozess eines schüchternen jungen Mannes, der in der Heideprovinz versauert zwischen quälendem Latein-Vokabel-Lernen und ödem Dorfdisco-Rumgehänge. Das ist die Droge, die Linderung verspricht. Sie heißt PUNK.
Rausch 2: Jemand hat sich auf der Bühne bis auf die Unterhose entkleidet und spielt Gitarre. Auf dem schweißfeuchten Oberkörper spiegelt Scheinwerferlicht, während der Kopf vom Bildrand abgeschnitten ist. Dass es eine solche Nicht-Szene aufs Cover schafft, sagt viel über den Gestus, mit dem sein Schöpfer dieses Buch geschaffen hat. Das vorgeführte, zumeist schwarzweiße Bildmaterial ist rau, grobkörnig, ziemlich düster. Das ist Verweigerung, das ist Punk. Als ich das Buch von Olaf Ballnus aufschlage, breitet sich ein süßes Gift in meinem Körper aus. Im ersten Foto blickt man in den Innenraum eines Kadetts, Kabel hängen aus der Armatur, Kassetten liegen herum, der Aschenbecher quillt über. Die Szene kann ich nicht nur visuell erfassen, sondern auch die Kippen quasi riechen, so vertraut ist mir das alles. Das einleitende Kadett-Foto gibt das Programm vor. Als würde man zu einer Spritztour aufbrechen, die mitten in die Vergangenheit führt. Ein Trip mit Kumpels, der in die Stadt führt, weil jemand von einem aufregenden Konzert gehört hat. Aber man kommt nie an, weil das Auto vorher verreckt.
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