Bloodlust, Eat Shit, Hellbastard oder Kaltarkampf (!). Auf dem Frontispiz ist eine Liste mit obskuren Bandnamen von Punkbands vermerkt. Diese traten einst in dem Club THE STATION auf, der dem neuen Buch von Chris Killip seinen Titel gibt. Das bringt mich auf die Idee, den Musikstream zu öffnen, einige der Bands einzugeben und mich einzustimmen, um diese Rezension zu schreiben.
So geht es los – 1,2,3,4. Auf die Gitarre wird eingedroschen, ein schreiender Gesang, der Bass wummert, das Schlagzeug scheppert. Sofort ist man aufgeputscht und blättert los, um sich als Betrachter inmitten eines Moshpits wiederzufinden. Um es vorwegzunehmen: es wird das ganze Buch über fast nie anders sein. Die Szenen auf den Doppelseiten konfrontieren den Betrachter mit extremer Körperlichkeit und intimer Nähe. Nietenjacken, Ketten um den Hals, T-Shirts mit Bandlogos, imposante Stachelfrisuren. Nackte Oberkörper, über die der Schweiß rinnt. Fäuste, in die Luft gestreckt. Der Nebenmann brüllt den Text des vorgetragenen Songs mit. Jemand wirft sich über dich, nimmt dich in den Schwitzkasten oder zieht dich über die Tanzfläche. Versuch gar nicht erst was anderes – lass dich in der Menge treiben. Du verlierst die Balance, doch wenn du zu fallen drohst, ist jemand da, der dich hochzieht.
Wir befinden uns im England des Jahres 1985. Thatcher hat gerade ihren härtesten Kampf mit den Bergarbeitern zu ihren Gunsten ausgefochten und verkündet vollmundig die Gesetze des freien Marktes: Die Gesellschaft, das ist niemand. Du bist für dich selbst verantwortlich. Während sich der Süden wirtschaftlich ein wenig fängt, straucheln die alten Industriezentren im Nordosten Englands. Arbeitsplätze im Schiff-, Maschinen- und Kohlebergbau werden drastisch abgebaut. Die Konsequenzen sind hohe Arbeitslosigkeit, ein Abrutschen in Armut und Kriminalität. Chris Killip kommt in dieser Situation auf die Idee, Orte, an denen Menschen ausgehen, zu fotografieren. Er ist ein Dokumentarfotograf, der sich in seinen Projekten immer wieder mit dem Alltag der britischen Arbeiterklasse auseinandersetzt. Ein paar Jahre später wird sein Buch „In Flagrante“ erscheinen, heute ein Klassiker, in dem er in emphatischen Bildern Menschen und ihren verzweifelte Existenzwillen im Zeichen des wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs zeigt. In seiner Fotografie blickt er oft auf das Kleine – am speziellen Ausschnitt aber lässt sich eindrucksvoll die Verfasstheit einer Gesellschaft und der Grad ihrer Verelendung ableiten.
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