Christine Fenzl – Land in Sonne

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BELIEVE IN YOURSELF. Sie trägt das Motto auf ihrem T-Shirt und ihre Pose ist Ausdruck natürlicher Selbstbestimmtheit. Die eine steht vor der Kamera, die andere dahinter. Beide kennen sich nicht, trotzdem scheint sich eine Vertrautheit beim Akt des Fotografierens einzustellen, die im Ergebnis erkennbar wird und ziemlich verblüfft.

Und noch mehr überrascht, wie sehr mich diese Porträts reinziehen in eine Lebenswelt, die mir eigentlich absolut nicht vertraut ist. Ich nehme es vorweg: Dies ist eine wunderbare Hymne auf das Jungsein, Freundschaft, Liebe, die Verheißungen des Lebens und es ist egal, ob man so jung wie die Jugendlichen, 30 oder gefühlte 100 Jahre alt ist, man findet sofort Zugang zu den Porträts. Selbstsicher posiert jene T-Shirt-Frau namens Jenny vor der Kamera von Christine Fenzl. Und so ist der Eindruck bei den Porträtierten fast ausnahmslos: Sehr selbstbewusst wirken die jungen Menschen. Euphorie über scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten jugendlichen Daseins ist bei denen einen abzulesen, bei anderen schon die ersten Bürden, die ihnen als jungen Erwachsenen aufgeladen werden. Bunte Tattoos ranken sich über die Arme, die Haare sind gefärbt, Piercings komplettieren den Look und viele tragen T-Shirts und Caps mit Schriftzügen, die mir zwar nichts sagen, aber überaus stylish aussehen. So perfekt, so cool!

 

Man könnte auf den ersten, oberflächlichen Blick denken, hier sei eine Porträtserie über zugezogene Berlin-Mitte-Hipster entstanden. Dabei verhält es sich ganz anders in der bereits 2008 begonnenen Arbeit „Land in Sonne“, deren letztes Bild 2019 entstanden ist. Seit 1992 ist Fenzl in Berlin, sie erlebt mit, wie die Stadt sich verändert, wie exzessiv hier abgerissen und aufgebaut, renoviert und saniert wird, wie sämtliche Leerstellen gefüllt werden und wie der anfangs noch sichtbare Verlauf der ehemaligen Grenze rasend schnell verschwindet. Während Berlin städteplanerisch als Einheit betrachtet wird, fremdeln viele Bewohner in Ost und West lange mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten oder wie es Nan Goldin, für die Fenzl in den frühen 90er assistiert, im Vorwort schreibt: Die Mauer als physische Abgrenzung ist zwar gefallen, aber es sind innere Grenzen geblieben. Christine Fenzl interessiert dieses Thema und sie wählt einen interessanten Ansatz: sie möchte jene jungen Menschen fotografieren, die während der Wende oder danach zur Welt gekommen sind, in deren Lebensbiographien ein gescheiterter Sozialismus genauso wie ein gesellschaftlicher Neubeginn eingeschrieben sind. Wo Eltern und Lehrer sich weiter unter dem Eindruck des Mauerfalls und Systemwechsels befinden, erhalten die Kinder eine Prägung von diesen, die ihre Lebenseinstellung determiniert? Nun, man kann nur vermuten, direkte Antworten kriegt man nicht.
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Walter Keller – Beruf: Verleger

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Was ist größtes Glück? Wenn Bücher diesen unwiderstehlichen Sog ausüben, dass man alles um sich herum vergisst. „Walter Keller – Beruf: Verleger“ ist so eines. Gleich im ersten Text verhake ich mich. Tagebuchnotizen von Nikolaus Wyss, in der die Geschichte zweier Freunde erzählt wird, die sich im Volkskundestudium treffen und ein Magazin starten, aber schnell mit Geldnöten und inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten kämpfen und sich entzweien. Dazu kriegt man Auszüge des legendären „Alltags“ präsentiert, die einen radikalen Perspektivwechsel aufzeigen – faksimilierte Seiten, auf denen statt ereignisorientierter Berichterstattung der Auseinandersetzung mit Banalitäten gefrönt wird.

Im Kontext kommt Urs Stahel zu Wort, der sich beim „Alltag“ seine ersten Sporen verdient. Er ist einer der wichtigsten Wegbegleiter in Walter Kellers Leben und wird mit diesem Jahre später die gemeinsame Idee eines Fotomuseums entwickeln und ihn bei der Gründung des Scalo-Verlags stärken. Durch das Buch ziehen sich verschiedenste Perspektiven von Freunden und Kollegen, die auch unangenehme Seiten nicht auslassen, aber somit ein umfangreiches, faszinierendes Bild zeichnen. Erinnerungen von Martin Heller, mit dem Keller einst eine erfolgreiche Ausstellung machte. Ein Interview mit Michael Rutschky, der Berlin-Redakteur beim Alltag war. Martin Jaeggis Innenperspektive als Mitarbeiter bei Scalo, Nan Goldins Rückblick, in der sie die Bedeutung ihres Mentors für ihre Karriere herausstellt. Dazu überreichlich Bildmaterial und Beispielseiten der herausgegebenen Publikationen. Man erfährt Allgemeines über das Magazin- und Büchermachen und Spezielles über einen schillernden Kulturschaffenden, der zumeist ein untrügliches Gespür für Dinge hat, die gerade in der Luft liegen. Wie aus einer privaten Talkshow der „Alltag“ entsteht.
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Anders Petersen – Schläge ins Gesicht und Schulterklopfen

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Ist man mit ihm unterwegs, ereilt einen das Gefühl, als könne er Menschen zum Leuchten bringen. Einmal saß ich mit Anders Petersen in einem Restaurant. Ein todernster Kellner und seine sehr steife Kollegin bedienten uns. Alles war sehr förmlich. Doch Anders gelang es auf Anhieb, die richtige Ansprache zu finden und die Bedienung aus der Reserve zu locken. Er ist den Menschen so zugewandt, dass diese nicht anders können und sich öffnen. Als Fotograf kann er das nutzen, aber er nutzt es nicht aus. Als wir nach einem schönen Abend aufbrachen, schenkten die Service-Leute uns nicht nur ihr breitestes Lächeln, sondern verabschiedeten uns mit freundschaftlichem Schulterklopfen.

In diesem Sommer ist Stockholm in einem doppelt gemeinten Sinn eine Reise wert. Wer demnächst in der nordischen Hauptstadt ist, sollte sich keinesfalls die Gelegenheit nehmen lass, die schlicht mit „Stockholm“ betitelte Soloshow von Anders Petersen zu besuchen. Ganze vier Jahren hat der schwedische Fotograf dazu intensiv am Porträt seiner Heimatstadt gearbeitet. Das Ergebnis wird derzeit in der altehrwürdigen Kunsthalle Liljevalchs präsentiert, einem so riesigen wie aufregenden Ausstellungsort. Entstanden ist eine aus der Museumsgröße und Bildmenge resultierende radikale Präsentation, die den Besucher überwältigt. Es gibt 11 Räume, mal klein und intim und große Säle, die alle mit einer Vielzahl von Fotos geflutet sind. Immer wieder ist Anders dazu durch die Stadt gestreift und hat Orte und Situationen, aber vor allem Stockholmer, die völlig unterschiedlichen Lebensentwürfe folgen, abgelichtet. In den Fotos entfaltet sich ein Kosmos urbanen Lebens, ein Kaleidoskop verschiedener menschlicher Sehnsüchte, Hoffnungen und Träume. Anders Petersen blickt auf kluge und fast zärtliche Weise in ganz unterschiedliche Milieus. Menschen, die er auf der Straße trifft, auf Partys, in Nachtclubs, an privaten Orten. Auf einem Foto ist selbst die schwedische Kronprinzessin zu sehen, völlig anders, als man sie kennt.
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Leif Sandberg – Am Ende und über das Ende hinaus

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Der Tod ist ein Dandy auf einem Pferd. Die Zeile eines alten Neubauten-Songs kann als eindringliche Allegorie herhalten, um die Ungeheuerlichkeit zu beschreiben. Leif Sandberg hörte die Hufe schon, als der elegante Reiter gerade noch einmal abbiegt. Mors certa, hora incerta: Der Tod ist sicher, doch seine Stunde nicht bekannt. Sandberg übersteht eine schwere Krebsoperation. Zu diesem Zeitpunkt ist der Schwede Ende 60 und die Erfahrung der eigenen Endlichkeit wirkt schwer in ihm nach. „Nach der achtstündigen Operation war ich lange ziemlich schwach und brauchte ein volles Jahr, um mich zu erholen. Ich konnte physisch richtig fühlen, dass ich durch etwas hindurchgehen musste und dadurch eine zweite Chance im Leben bekam. Die Frage, die sich mir aufdrängte – Wie soll ich mit dieser zweiten Chance umgehen?“

Es ist die Fotografie, die zum Rettungsanker wird. Dabei ist Sandberg ursprünglich gar kein Fotograf, auch wenn er sich schon immer für Fotografie interessiert. Im fortgeschrittenen Alter besucht er an der Universität Kurse zur Kunstwissenschaft, in denen er intensiver mit fotografischen Themen in Berührung kommt. Erst die existentielle Grenzerfahrung lässt den Entschluss wachsen, ein ernsthaftes Foto-Projekt zu starten, das helfen soll, Ängste und Leiden aus der Vergangenheit zu verarbeiten. Schon als Arbeitnehmer hat er unter stressbedingten Panikattacken gelitten. Auch das wird als Thema in diese Arbeit eingehen. „Ending“ wird zu einer Art Therapie, um die eigene Lebenssituation besser bewältigen zu können.
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