Jan Töve – Faraway Nearby

Besprechen

Man hört den Schnee unter den Schuhen knirschen. So könnte man meinen, wenn man Jan Töves Buch öffnet. Schwedische Holzhäuser verstrahlen ihr Rot in die Weite einsamer Schneelandschaften. An anderer Stelle dient eine Signalstange als Orientierung für den unter Schneemassen verschwindenden Straßenverlauf. Ein Holzschuppen im Winter, an dessen Seitenwand zwei Füchse kopfüber aufgehängt sind – schaurige Jagdtrophäen. Es gibt viele Einzelbilder, die sich, je weiter man blättert, in Bezug setzen lassen und einen Erzählbogen bilden. Will man zum Kern der Erzählung vordringen, könnte der sich hier befinden: Ein Haus mit grober Putzfassade, die Architektur ist von schlichter Funktionalität bestimmt. Die Fenster im Erdgeschoss mögen einst als stolze Auslagen gedient haben, jetzt sind sie mit Jalousien verrammelt. Unkraut wuchert auf den Stufen des Eingangs. Hier geht derzeit niemand ein noch aus. Über der Tür prangt eine Beschriftung, die eine kühne Behauptung darstellt. CENTRUM.

„Faraway Nearby“ heißt das Buch, für das Jan Töve diese und die zuvor beschriebenen Szenen ausgesucht hat. Jenes „Centrum“ befindet sich in der kleinen schwedischen Gemeinde Koppom, die laut Wikipedia 669 Einwohner hat. Als Betrachter fragt man sich unmittelbar, wann Nr. 670, Bewohner des „Centrums“, das Weite gesucht hat und was die Gründe dafür sein mögen.

Töve ist Fotograf und Publizist, der einst seine Passion in der Naturfotografie gefunden hat und diese zur wahrer Meisterschaft führte. So wurden seine Arbeiten in großen Magazinen abgedruckt, er hat zahlreiche Bücher herausgegeben und wichtige Preise in seinem Genre eingeheimst. Es hätte wohl ewig so weiter gehen können, bis der Schwede sich irgendwann in einer Sackgasse angelangt fühlte. Heute ist er angeödet von einer perfektionistischen Fotografie, die sich vollständig der Realität entzieht.

Für „Faraway Nearby“ hat Töve sich Zeit genommen, hat neue Entdeckerlust in sich verspürt und die Arbeit als ein Gegengift für seine Zweifel begriffen. Darin besinnt er sich auf Orte, die er aus seiner Kindheit kennt und die ihm immer noch vertraut und gleichzeitig fremd erscheinen.

85 % aller Schweden leben heute in Städten, der anhaltende Urbanisierungsprozess macht auch hier das ländliche Milieu zum Verlierer. So ist das „Centrum“ von Koppom eine starke Allegorie für das Sterben der Dörfer und Kleinstädte. Töve konzentriert sich auf die ländliche Region und stellt seine Fragen. Wie leben Menschen hier? Welchen Ausschlag haben gesellschaftliche Entwicklungen auf ihren Lebensraum? Vielleicht hat das Haus in Koppom einst einen Einkaufsladen beherbergt. Heute wäre dieser ohne jede Chance. Der Marktplatz hat sich verschoben – hin zu zentralisierten Shopping Malls, zu denen man lange fahren muss oder gleich in den Online-Handel.

Verlassene Höfe, Zerfall der Infrastruktur, berufliche Perspektivlosigkeit. Töves Fotos nehmen die Themen auf. Dabei bewahrt sie ein darin enthaltener Humor davor, zu sehr Schreckensvision zu sein. Seine Landschaften sperren sich dagegen, von Erhabenheit und Unberührtheit zu erzählen, stattdessen thematisieren sie immer wieder die Ausgestaltung der Umgebung durch ihre Bewohner. Er hat das, was man ein gutes Auge nennt und beweist dies mit einem untrüglichen Gespür für Motiv, Komposition und Farbe. Die Könnerschaft beim Verwandeln von übersehenen Orten und Alltagssituationen in Bedeutsamkeit ist eindrucksvoll. So kann man nicht genug kriegen, wenn er kuriose Fundstücke aufspürt, bizarre Architekturen fotografiert oder Bewohner porträtiert, die sich im Spannungsfeld von Tradition und Modernisierungsprozess bewegen. Viele Bauern haben aufgegeben, man sieht heruntergekommene Scheunen, Landmaschinen, die vor sich hinrosten. Aber es gibt auch anderes: Eine Kuh, die in einer Hightech-Anlage gemolken wird oder jenes selbstbewusste Mädchen mit Piercings, das einen Traktor lenkt.

So wie es mit dem Winter beginnt, wird der Betrachter mit diesem auch wieder aus dem Buch entlassen. Wieder scheint der Schnee unter den Füßen zu knirschen. Dazwischen ist man in eine Welt eingetaucht, die, so einsam und zukunftsfinster sie manchmal scheint, ihre eigene Schönheit besitzt und Sehnsüchte erweckt.

(erschienen in Photonews 12/17-1/18)

Jan Töve. Faraway Nearby.  Hatjecantz. ISBN 978-3-7757-4358-7. Mit einem Text von Lena Kvist. Stuttgart 2017. 144 S. mit 88 farb. Fototaf., Hc. 40 Euro

siehe auch : www.jantove.com