Mark Steinmetz – Mädchen auf der Motorhaube

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Da entdecke ich sie. Sie liegt ausgestreckt auf der Motorhaube eines Autos, neben sich eine Flasche und Zigaretten. Das Licht eines Scheinwerfers fängt sich auf der Oberfläche ihres ebenen Gesichtes. Ihr Ausdruck ist nicht deutbar, sie hat die Hände über dem Bauch gefaltet und blickt starr in die Ferne. Aus der Zeit scheint sie gefallen, etwas Unwirkliches haftet ihr an. Ich kann nicht aufhören, sie zu betrachten.

Irgendwann kehrt Leben in die junge Frau, sie steckt sich eine Zigarette an. Ihr Blick fällt auf mich und sie stellt mich zur Rede. Wie lange ich schon so dastehe? Ich schweige verlegen, nehme aber schließlich allen Mut zusammen und frage, ob ich mich neben sie setzen darf. Ob wir rauchen und in den Sternenhimmel schauen wollen? Sie bricht in schallendes Gelächter aus, und ich werde mir meines törichten Benehmens bewusst. Und dann kommt mir mein Benehmen plötzlich noch viel törichter vor, weil ich mich in diese Geschichte tatsächlich nur eingeschlichen habe. Ich sitze einem Foto von Mark Steinmetz gegenüber, auf das ich lange gestarrt habe. „Girl on Car, Athens, Georgia“ ist dessen lakonischer Titel.

Gute Fotografie erreicht, dass ich beginne, mir Geschichten dazu auszudenken. Vielleicht würde Mark Steinmetz diese Rezeptionsweise gefallen. Gerne würde ich ihn fragen, ob er sich selbst zu dem Mädchen gesetzt hat, nachdem er es fotografiert hat. Ob sie miteinander geredet haben. Ich würde wissen wollen, wie sich diese unglaubliche Nähe einstellt, immer wieder und wieder in seinen Fotos.

Mit der Fotografie von Steinmetz geht es mir wie mit dem Mädchen. Lange blicke ich sie an, ihre Schönheit verführt mich immer mehr. Ich weiß, ich sollte ihr nicht einfach so verfallen, sondern kühlen Kopf bewahren. Ich sollte in meiner Besprechung interpretatorisch bleiben und die Arbeit in einen fotografischen Kontext einordnen. Jack Kerouac hat in seinem Text zu Robert Franks „Die Amerikaner“ geschrieben, wer dessen Bilder nicht mag, mag auch keine Gedichte. Und wer keine Gedichte mag, soll nach Hause gehen und im TV breitkrempig behütete Cowboys anschauen, die von freundlichen Pferden ertragen werden. Das kommt mir in den Sinn und ich möchte ausrufen: Wer die poetische Kraft in Mark Steinmetz’ Fotos nicht erkennt, der sollte wirklich nur noch fernsehen.

Ich selbst kann mich nicht satt sehen an dem, was Steinmetz macht. Wer seine Ausstellung, die derzeit in München läuft, besucht, darf sich also als Glückspilz fühlen und wird womöglich etwas ähnlich Intensives erfahren. Wer es nicht schafft, sollte zumindest versuchen, eines seiner atemberaubend schön gemachten Bücher zu ergattern.

Selbstverständlich schätzt Steinmetz Franks Amerikaner, daneben Lee Friedlander, Helen Levitt und Winogrand. Letzteren hat er 1984 in Los Angeles, am Anfang seiner Karriere getroffen. Dieser führte ihm auf gemeinsamen Touren durch die Stadt vor, was es heißt, seinen Weg unbeirrt zu gehen. Heute blickt Steinmetz auf ein imposantes Werk zurück, das zahlreiche Serien mit oft erstaunlichen Zeitspannen umfasst. Eine Szene der eingeseiften Kinder stammt aus der Serie „Summer Camp“ und enthält Bilder von 1986-2003. Das fällt aber nie auseinander, was daran liegen mag, dass die virtuosen SW-Fotos auf eigenartige Weise der Zeit enthoben sind.

Auch wenn es Serien über Frankreich oder Italien gibt, drehen sich seine Hauptwerke um amerikanisches Alltagsleben und es sind meist die Südstaaten, in denen er selbst lebt, und in denen er seine Akteure mit ihren Sehnsüchten und Verzweiflungen trifft. Ein Mann sitzt auf einer Bank, das Gesicht hinter einer dicken Brille verbarrikadiert. Der Aufdruck „Been there“ auf seinem Cap wirkt wie eine trotzige Vergewisserung seiner selbst. „Been there“ gilt auch für Steinmetz – immer scheint er mit sicherem Gespür an den richtigen Orten zu sein, Orten der Einsamkeit und des geschäftigen Treibens, in denen sich, wenn nicht das Leben an sich, so doch eine tiefe amerikanische Wahrheit offenbart. Die scheint Lichtjahre von jener entfernt zu sein, die das Land derzeit bestimmt. Wir betrachten Steinmetz’ Figuren und wir können nicht aufhören, uns über deren Strahlkraft zu wundern, auch wenn es manchmal nur unglückliche Teenager aus der Provinz sind. Er schafft es wie kaum ein anderer, eine Tiefe in seine Figuren zu bringen und eine Atmosphäre zu schaffen, die etwas sehr Eigenes mit sich führt.

In der Tiefe von Steinmetz Fotos möchte ich versinken, mich in deren erzählerisches Netz einweben lassen. Mich nicht darüber grämen, an dieser Stelle zu wenig verstehenden Zugriff geliefert zu haben. Plötzlich dringt schallendes Gelächter an mein Ohr. Dann passiert etwas Merkwürdiges. Die junge Frau deutet mir mit ihrer Hand, mich neben sie zu setzen.  (erschienen in Photonews 10/2017)

Mark Steinmetz/ united states_1  in der Lothringer 13 Halle bis 8. Oktober 2017, danach: united states pt.2 im Amerikahaus München bis 22.12.2017 

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