Den Anblick will man nicht so leicht vergessen. Die Haltung des Körpers ist schlaff. Der Blick gesenkt. Das Maul leicht geöffnet. Und plötzlich wird klar – dieser Wolf wird nie mehr heulen. Es ist nur ein abgezogenes Fell, an dem ein Kopf nach unten hängt. Ob des hier vermittelten Elends wollen wir am liebsten selbst den Kopf hängen lassen. Einst hat der römische Dichter Plautus formuliert: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Das mag stimmen, aber noch viel mehr ist der Mensch dem Wolf ein Mensch. Bei dem Fell handelt es sich um ein geschmackloses Souvenir, das aus dem Koffer eines Urlaubers gezogen worden ist. Dass dieses Mitbringsel aber in einem mit opulenten Schnitzereien ausgestatteten Ovalrahmen präsentiert wird, steigert die Gedrücktheit umso mehr.
Oliver Mark hat ein Studiozelt aus schwarzen Stoffbahnen errichtet. Es ist zwei Meter mal zwei Meter klein. Auf der einen Seite lässt er durch einen kleinen Spalt Licht einfallen. Der Fotograf will einen beengten Raum simulieren – ein stilles Kämmerlein für stille Porträts. Ziel ist es, seine Fotos mit der Ästhetik altmeisterlicher Malerei auszustatten. Und so inszeniert er seine Gegenstände sorgsam, rückt sie ins rechte Licht, wechselt die farbigen Hintergründe. Wenn alles perfekt sitzt, drückt er den Auslöser.
Seine Meriten hat sich Oliver Mark vor allem mit seiner exzellenten Porträtfotografie erworben. Aber daneben gibt es von ihm immer wieder freie, überraschende Projekte. Für die neue Serie „Natura Morta“ hat er die Asservatenkammer des Bundesamtes für Naturschutz durchforstet. Dort hat er Dinge fotografiert, die als Souvenirs für Zuhause gedacht waren, bevor sie vom Zoll beschlagnahmt wurden. Sie alle fallen unter die Bestimmungen des Artenschutzes.
Mehr als 180 Staaten haben bis heute das vor 40 Jahren beschlossene Washingtoner Artenschutzübereinkommen ratifiziert, in dem der Handel gefährdeter Tier- und Pflanzenarten geregelt und dessen Überwachung kontrolliert wird. Was bei den Reisenden gefunden wird, übersteigt oft jede Vorstellungskraft. Ein Bärenkopf, das abgesägte Horn des Nashorns, eine Handtasche aus Raubtierfell, aber auch Gitarrenhälse aus Palisanderholz. Oliver Mark weiß genau, wie er etwas arrangieren muss, um maximale Wirkung zu erzielen. So befreit er diese Gegenstände aus dem Dunkel des Depots und versieht sie mit einer neuen Strahlkraft. Die Objekte führt er so vor, dass wir uns der Faszination nicht entziehen können, um dann umso mehr Abscheu zu empfinden. Besonders dekadent habe er den Verwendungszweck des ausgehöhlten Elefantenfußes empfunden, sagt der Fotograf. Ein Schirmständer sollte daraus werden.
In Oliver Marks Arbeiten überstrahlt die Schönheit das Sterben. Der Fotograf führt den rücksichtslosen Umgang des Menschen mit Natur und Umwelt vor, aber das tut er auf raffinierte Weise, in dem er Elend und Tod ästhetisiert. Ein Kunstwerk muss streitbar sein, damit es nicht langweilig wird, sagt er selbst. Unweit seines Berliner Studios liegt die Gemäldegalerie. Als häufiger Besucher studiert er mit Hingabe die dort ausgestellte alte Malerei. So wundert es nicht, wenn seine Serie Motive der Stilllebenmalerei des 17./18. Jahrhunderts aufnimmt. Eine Ente, die kopfüber gezeigt wird, imitiert die damals üblichen Jagstillleben von niederländischen Malern. Gleichzeitig lässt die Inszenierung von Gürtel oder Stiefel an eine zeitgemäße Werbeoptik denken. Das fertige Foto wird später im passenden Rahmen feilgeboten. Da zeigt sich die Meisterschaft des Fotografen ein weiteres Mal. Lange sucht er, um einen entsprechenden Rahmen zu finden, dessen Materialität, Farbe und Form Korrespondenzen zu dem abgebildeten Gegenstand herstellt.
Auch in der Rahmung wird Oliver Marks Präferenz für alte Malerei deutlich, zugleich akzentuiert der Rahmen den Trophäencharakter des einzelnen Objekts. Die Mitbringsel erzählen immer auch über ein menschliches Handeln, das von Eitelkeit, Gier und Ignoranz geleitet ist. Schreckensbilder tauchen hinter den schrecklich- schönen Bildern von Oliver Mark auf: der zurückgekehrte Reisende, der sich mit Geschichten aus dem fernen Urlaubsland brüstet und dabei eine mitgebrachte Flasche Schnaps kreisen lässt. In der aber ist eine Kobra konserviert. Bei dieser Vorstellung lassen wir den Kopf noch tiefer hängen.
„Natura Morta“ von Oliver Mark ist noch bis zum 16. Juli 2017 in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien zu sehen. Die Ausstellung wird mit Stillleben-Gemälden der Sammlung und in Kooperation mit dem Naturhistorischen Museum gezeigt. Das gleichnamige Buch ist im Kehrer Verlag erschienen.
(erschienen in Photonews 5/17)