Henrik Spohler – Das Leben als langer, ruhiger Warenfluss

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Der Fotograf Henrik Spohler hat den Welthandel in bestechende Bilder gebannt, die große Zusammenhänge erzählen und Fragen hinterlassen.Die Ouvertüre des Bildbandes „In Between“ des Hamburger Fotografen Henrik Spohler hält einen Blick aufs Meer bereit. Auf dem Horizont balancieren Frachtschiffe. Danach eine Straße, die wie Auslegeware in einer dürren Landschaft ausgerollt ist. Tunnelröhren durchbohren ein Gebirge. Diese und andere Szenerien fügen sich in dem sorgfältig gemachten Buch evident zusammen: Rangierbahnhöfe, Containerbrücken, Frachtflughäfen, Hochregallager.

Die Dramaturgie von Spohlers neuem Buch besteht aus Zooms, die Schnittstellen der Logistik und Charakteristika der Transportwege ausleuchten: Hafenareale, Drehkreuze, Umschlagsplätze, vollautomatisierte Distributionssysteme. Die Erfassung des Weltwarenstroms – ein bodenloses Thema, an dem man fotografisch nur scheitern kann. Und wenn wir ehrlich sind, interessiert uns das Sujet erst einmal genauso wenig wie die Tatsache, dass ein T-Shirt auf seinem Weg von der Baumwollpflanze bis zum fertig angebotenen Kleidungsstück oft zehntausende Kilometer zurückgelegt hat.

Containerterminal, Yangshan Tiefwasserhafen, China

Aber Spohlers Serie ist absolut an- und aufregend. Seine Schauplätze befinden sich in Shanghai, Bilbao, Antwerpen oder Hamburg. Allesamt wichtige Orte der Logistik, die er sorgfältig recherchiert hat und für die er, einmal dort angekommen, staunenswerte Perspektiven auslotet. Die schüchterne Farbigkeit, der Wille zur Ordnung, die All-Übersicht, die das Geschehen als eines zeigt, das sich überanstrengt hat und nun kurz mal innehalten muss. Spohler lässt den Warenstrom in seinen Fotos gerinnen und schafft eine kohärente Serie, in der die Darstellung merkantiler Netze nicht kleinteilig wirkt, sondern weltumspannend.

Er wolle das Wissen des Betrachters zum Schwingen bringen, hat er einmal bemerkt. Dieser fühlt sich unausweichlich aufgefordert, die großen Zusammenhänge zu imaginieren. Spohler ist dem Faktischen der Orte verbunden, aber seine Bilder schlagen immer wieder erzählerische Volten und unterlaufen alle Erwartungen. Neuwagen zur Verladung in Emden sind in weiße Hüllen gesteckt und warten darauf, im Schlund des riesigen Frachtschiffs zu verschwinden. Ein monströser Haarberg entpuppt sich als Altmetalldraht im Duisburger Hafen, der voraussichtlich nach China verschifft wird.

Während wir uns an diesem Surrealismus delektieren, erfasst uns erneut die Stille und dieses Mal beunruhigt sie uns: Wo sind eigentlich diejenigen, die diese Ströme organisieren? Kein Mensch. Nirgends. Selbst die gezeigten Transportmittel wirken unbemannt. Das aber scheint keine weit entfernte Utopie. An sich selbst steuernden Frachtschiffen wird längst fieberhaft gearbeitet.

 

Rollfeld, Frachtflughafen Leipzig, Deutschland

Während wir niemanden sehen, sind wir gleichzeitig auf uns selbst zurückgeworfen. Wo befinden wir uns in diesem automatisierten Prozess, der die Conditio Humana auf dramatische Weise verändern könnte? Die Schönheit der entmenschlichten Orte umfasst einen Pessimismus des Fotografen, der nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft mit unüberschaubaren Konsequenzen in den Bildern ausweist. Einmal sieht man ein Containerlager in Bilbao, für das extra ein Berg abgetragen werden muss. Ein drastisch schädigender Eingriff in die Landschaft.

Das Leben ist ein langer, ruhiger Warenfluss. Ob wir Gefahr laufen, von ihm fortgespült zu werden? Noch liegt es in unserer Hand. (erschienen in mare Februar/März 2017)

Henrik Spohler, In Between. Stuttgart 2016. Hartmann Projects. ISBN 978-3-96070-004-3. 128 S. mit 56 Farbfotos, , geb. 35,00 €

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